ET LUX.

Ein Requiem von Bach?

Ja – aber nicht ganz. Am Anfang stand die Feststellung: Bearbeitungen von Bachs Musik gibt es in allen nur möglichen Schattierungen. Was aber ist mit den Texten?

Die Texte der Kirchenkantaten von Johann Sebastian Bach müssen vom Hörer ohne Zweifel übersetzt werden, sowohl in Bezug auf einzelne Worte, die heute längst nicht mehr gebräuchlich sind, als auch in Bezug auf die Inhalte. Gemeinsam mit dem Berliner Dirigenten Jakob Lehmann habe ich mir die Frage gestellt, was wohl mit den Kompositionen Bachs passieren würde, wenn nicht die Musik ins 21. Jahrhundert geholt würde, sondern die Texte. Die Grundfragen, die in den Kirchenkantaten behandelt werden – wo kommen wir her, wo gehen wir hin, wie wollen wir mit unseren Mitmenschen umgehen – haben sich nicht verändert, wohl aber die Formulierungen und Gewichtungen dieser Fragen.

Wenn auch die Sehnsucht das „irdische Jammertal zu verlassen“ nicht dieselbe ist wie zu Zeiten Bachs und das Thema Tod und Sterben so weit wie möglich verdrängt ist aus der modernen Gesellschaft, betrifft es uns selbstverständlich nach wie vor. Wir streben als Gesellschaft danach, maximale Kontrolle zu erlangen über unser gesamtes Leben, von Pränataldiagnostik über Intensivmedizin bis zu aktiver Sterbehilfe. Irgendwann aber kommt für jeden von uns der Moment des Loslassens, sowohl für den sterbenden Menschen, als auch für diejenigen, die zurückbleiben. Wir haben keine allgemeingültigen Antworten auf das Wie, das Wann oder das Warum, können nur Fragen stellen und darüber nachdenken. Während wir in den Texten fragen, zweifeln, oder hoffen, liegt – spürbar aber nicht greifbar – die Antwort auf all diese Fragen in Bachs Musik.

Was also haben wir getan? – zwei Jahre lang telefoniert, gezoomt, geschrieben, nachgedacht, ausprobiert. Die ganze Zeit begleitet von der Frage, was wir uns eigentlich dabei gedacht haben, uns in die Werkstatt des größten aller Komponisten zu begeben.

Die Idee begann, wie so oft, mit einem „wir müssen unbedingt mal etwas zusammen machen!“ – das war damals. In einer anderen Welt, noch vor Corona. Es hätte von diesem aus Punkt eigentlich alles werden können, auch ein Operettenabend oder ein Konzert mit Schönberg Streichquartett op.10.

Dann passierte das, was ich so großartig finde, weshalb ich trotz der vielen Zeit und Nerven, die es jedes Mal kostet, immer wieder „Projekte“ realisiere: Eingebung. Anders kann man es nicht nennen – ich kann beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen, welchen Weg „ET LUX.“ zu Anfang genommen hat. Was ich aber weiß, ist, wer dafür verantwortlich ist, dass wir uns wirklich darangemacht haben: Christoph Drescher, der Intendant der Thüringer Bachwochen. Ich hatte ihm von der Grundidee erzählt und seine Reaktion war „macht das – ich engagiere Euch, wenn es fertig ist“.

Wir wollten ein „neues“, abendfüllendes Werk konzipieren aus einzelnen Sätzen der Kirchenkantaten von Bach, nach seinem eigenen Vorgehen im Parodieverfahren (Bach selbst hat ja viele seiner Kompositionen „zweitverwertet“, sowohl mit anderen Texten versehen, als auch musikalisch umgearbeitet). Damit kam die Idee auf, den Lyriker Thomas Kunst mit einzubeziehen. Sein Name war plötzlich da – nachdem ich viele Jahre lang nicht mit einem einzigen Gedanken bei ihm war. Eine Eingebung. Ich kannte ihn auch gar nicht wirklich, mein Mann hatte mir nur gelegentlich von ihm erzählt. Er kannte ihn aus der Zeit, in der er in der Nationalbibliothek seine Promotion schrieb. Nicht nur ich kannte ihn nicht – die breite Öffentlichkeit ebenfalls nicht. Beides hat sich seither geändert, denn in seiner Antwort auf meine Anfrage (die erste, spontane Reaktion war „auf keinen Fall wage ich mich an Johann Sebastian Bach heran!“ dann ließ er sich glücklicherweise überzeugen) erzählte er mir, dass sein zweiter Roman „Zandschower Klinken“ bald bei Suhrkamp erscheinen würde. Dieser Roman hat Furore gemacht, ging durch alle Feuilletons und war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2021. Wärmste Leseempfehlung an dieser Stelle!

Nach vielen, vielen Stunden, endlosen Listen, Tabellen, Versuchs-Playlists, WhatsApp-Nachrichten, Telefonaten und Zoom-Meetings (mittlerweile waren wir im Lockdown) war die erste Hürde genommen: wir hatten ein Stück aus einem Guss. Ein Werk aus Chören, Chorälen, Rezitativen und Arien, schlüssig in der Dramaturgie und der harmonischen und musikalischen Abfolge, für Sängerquartett und Orchester. Das war der erste Moment einer gewissen Erleichterung für mich, der Gedanke „was ist, wenn wir krachend scheitern?“ war etwas seltener mein Begleiter.

Wie nun sollte ein Text entstehen auf bereits vorhandene Musik? Denn wir hatten uns vorgenommen, nicht einzugreifen in den Notentext. Bachs Musik sollte unangetastet bleiben. Ein neues, endloses Puzzle. Vorgegebene Zeilen- und sogar Silbenanzahl, Schwerpunkte in den Phrasen, Gewichtung der einzelnen Worte, musikalische Stimmung. Dann nicht einfach den Inhalt des Textes paraphrasieren sondern Thomas‘ ganz eigenständige Lyrik, seine Gedanken. Ein zum ersticken enges Korsett für einen Dichter und eine gigantische Herausforderung. Ich war durchaus besorgt… krachendes Scheitern des Projekts war weiterhin sehr im Bereich des Denkbaren, aufhören hingegen nie.

Dann gab es diesen Moment – Thomas schickte mir den Text zu einem Rezitativ, ich habe Noten und Text zusammengebracht… und es war gut. Es war richtig gut. Seitdem ist die Sorge komplett der Vorfreude gewichen. Es folgten viele, viele Stunden am Schreibtisch und am Klavier, Sprachnachrichten und Versionen der Textverteilung wurden hin- und hergeschickt, dort war ein Schwerpunkt falsch, hier fehlte leider eine Silbe… ungezählte Versionen von „Text_ET_LUX.endgültig_version3_final“…

Jetzt ist es fertig. Die Partituren und Orchesterstimmen sind geschrieben, „ET LUX.“ ist in der Welt. Am 1. Mai 2022 durften wir erleben, wie sich dieses neue Werk tatsächlich anfühlt. Und wirklich, es ist ein Stück geworden, als hätte es nie anders sein können! Und ich darf sagen: selten habe ich ein so regungslos lauschendes Publikum erlebt, selten so überschwängliche Reaktionen von den mitwirkenden Kolleginnen und Kollegen. Die Uraufführung (das Abschlusskonzert der Thüringer Bachwochen) wurde mitgeschnitten, der Video-Stream ist weiterhin abrufbar unter folgendem Link: Uraufführung in der Herderkirche Weimar. In der zweiten Aufführung am 3. Mai 2022 im Theater im Delphi in Berlin ist ein Trailer entstanden. Und es wird die Möglichkeit geben, „ET LUX.“ live zu erleben – im Bachfest Leipzig 2023 wird es eine Aufführung geben, weitere sind in Planung.

Charles Ives – „In the alley“

Den Meisten Klassik-Liebhabern und selbst den meisten Musikern wird es so gehen wie es mir ging: der Name Charles Ives ist natürlich geläufig, man weiß, dass er einer der wichtigsten Amerikanischen Komponisten der neueren Zeit ist, kann ihn zeitlich und stilistisch einordnen, „The unanswered question“ kommt auch sofort in den Sinn, aber dann – nicht mehr viel.

Hinter den Kulissen zu den Dreharbeiten des Filmes "The unanswered Ives" von Anne-Kathrin Peitz. Die Sängerin Julia Sophie Wagner und der Pianist Steffen Schleiermacher in Zirkuskostümen in der Manege des Zirkus Busch, vorn im Bild die Kamera bei der Aufnahme.

Meiner Mitwirkung gemeinsam mit Steffen Schleiermacher an der Dokumentation „The unanswered Ives“ von Anne-Kathrin Peitz (auf DVD erschienen und hier zu bestellen) verdanke ich nun, nicht nur einen tieferen Einblick in das erstaunliche Leben dieses Komponisten erhalten zu haben – er war zum Beispiel derjenige, der das moderne Versicherungswesen erfunden hat! – sondern vor allem den Anstoß bekommen zu haben, mich dem farben- und variantenreichen Liedschaffen von Charles Ives zu widmen. Aus den über hundert Liedern haben Steffen und ich mit größtem Vergnügen eine Auswahl getroffen, die nun auf der CD „In the Alley“ versammelt sind.

Erschienen ist die CD bei Dabringhaus und Grimm, einem für seine höchsten Ansprüche an Aufnahme- und Klangqualität bekanntem Label, das aus diesem Grund seine Aufnahmen ausschließlich auf CD veröffentlicht und Streaming- oder Downloadmöglichkeiten nicht anbietet. Als Kostproben, sowie für ein paar weiterführende Informationen haben Steffen Schleiermacher und ich darum eine Serie von kurzen Gesprächen über einzelne Lieder auf Youtube veröffentlicht, im Anschluss gibt es jeweils das entsprechende Lied zu hören.

Nachdem sich der Erscheinungstermin durch die Wirrnisse der Corona-Pandemie immer wieder verzögert hatte, und ich schon befürchten musste, dass die Aufnahme im wahrsten Sinne des Wortes „sang- und klanglos“ verschwinden würde, sind wir nun mit einem kleinen Paukenschlag gestartet: CD des Monats in der „Opernwelt„! Somit habe ich nun begründete Hoffnung, dass es uns gelingen wird, mit dieser Aufnahme ein paar mehr Menschen für das wirklich großartige Kaleidoskop aus Americana, amerikanischem Impressionismus, wahlweise feinem oder derben Humor, komplexer und schlichter Harmonik und Melodik zu gewinnen. Viel Vergnügen!

Interview im Opernmagazin OperaWire

Die Sängerin Julia Sophie Wagner in einem weißen Kleid mit rot geschminkten Lippen. Portraitfoto mit Blick über die Schulter
Cristopher Santos for sisterMAG

Als schönen Abschluss meiner Saison ist im Online-Magazin „OperaWire“ ein ausführliches Interview mit mir erschienen über mein Video „Lost – #dubistdieruh“, mein Debut als Pamina in der Neuproduktion von Mozarts „Zauberflöte“ an der Oper Leipzig im kommenden Jahr, sowie meine Sicht auf meine Arbeit als Sängerin im Allgemeinen. Zum Interview

sisterMAG Feature

nach einem Konzert wurde ich von der Chefredakteurin des Online-Magazins „sister“MAG“, die im Publikum gewesen war, gefragt, ob ich für eine der kommenden Ausgaben als Cover-Model zur Verfügung stünde. Nach einem erstaunlich anstrengenden, aber sehr schönen Tag in Berlin sind nun die Ergebnisse online: Magazincover, ein schöner Artikel über mich und ein Podcast.

Wie es ausgeht, wenn man mich 45 Minuten lang reden lässt, hört man hier:
https://podcasts.apple.com/de/podcast/s%C3%A4ngerin-julia-sophie-wagner-podcast-episode-51-im/id1234614752?i=1000441510059

Zum Magazin (deutsch und englisch) geht es hier entlang:
https://issuu.com/sister_magazine/docs/de_sistermag49
https://issuu.com/sister_magazine/docs/en_sistermag49

Lost – #dubistdieruh

Zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=J6DWH31GOXI

Ein Projekt, in dass ich, gemeinsam mit der Regisseurin Marina Mattner und einem großartigen Team, über einen Zeitraum von zwei Jahren sehr viel Herzblut gesteckt habe, ist endlich zum Abschluss gekommen: ein Musikvideo zu Franz Schuberts „Du bist die Ruh“. Wir haben versucht, dem Text von Friedrich Rückert und der überirdisch schönen, fragilen Komposition von Franz Schubert, eine weitere Deutungsebene hinzuzufügen. Festgemacht an der Textzeite „Treib‘ andern Schmerz aus meiner Brust“ haben wir dem auf den ersten Blick rein positiven Liebeslied im Bild eine eher düstere Interpretation hinzugefügt, die von Verlust erzählt. Das kann der Verlust der eigenen Identität in einer ungesunden Beziehung sein, der Verlust eines geliebten Menschen oder einer idealisierten Idee.
Mit vorsichtigen Bildern, die stark sind, aber die Musik nicht überlagern, schön, aber in Kombination mit der großen Schönheit der Musik nicht in den Kitsch abgleiten, und offen in der Deutungsmöglichkeit, um dem Zuhörer und -schauer Raum für eigene Gedanken zu lassen.